Selbstwirksamkeit
Selbst-flucht
Lauschen und schweigen
Lauschen, was für ein Wort, was für ein gewaltiges, tiefes Wort. Nicht hören, hinhören, zuhören, sondern lauschen. Passiv sein, da sein, ohne wollen, ohne verstehen, nur aufnehmen, was kommt.
Lauschen braucht das Schweigen. Ohne Schweigen kein lauschen.
Doch lauschen wir noch in unserer Welt? Kaum noch. Wir hören Musik, wir hören zu (wobei zu und hören ein Widerspruch zueinander sind). Wir lauschen nicht mehr, weil wir auch nicht mehr schweigen können. Die Welt verschließt sich vor uns, wir verschließen und vor der Welt.
In Abwesenheit der wirklichen Welt flüchten wir in eine Scheinwelt, in digitale Illusionen, in phanatasiebeladene Kopfkinos — suchen überall die Welt, nur nicht direkt vor uns und in uns.
Meine Brüder
Deshalb übersehen wir auch die Allverbundenheit, die Vernetzung, die uns umgibt. Mit den Mitmenschen, den Tieren, den Bäumen, Sträuchen — mit allen Dingen.
Wir vereinsamen, fühlen uns alleine, allein gelassen. Keine Resonanz küsst uns wach, schenkt uns Funken voller Lebendigkeit.
Digitale Abdrücken sind wie kleine Lichtblitze, sie leuchten kurz auf und entschwinden genauso schnell wieder. Wie eine Droge suchen wir nach immer größeren, kräftigeren Lichtblitzen, um doch immer tiefer in die Leere zu fallen.
Mache die Türe auf und gehe zu deinen Brüdern. Du findest sie direkt vor deiner Haustüre und brauchen keinen Strom.
Antwort geben
Wir antworten selten auf die Welt. Unsere Reaktionen sind meist tausendfach wiederholte, halbmaschinelle Muster, die wir ohne Gedankenkraft abspulen.
Wir sehen einen Baum und klassifizieren ihn: Buche, Eiche, Birke und vergessen den Baum. Wir haben ihn gar nicht gesehen. Doch fühlen uns weise, weil wir seinen Gattungsbegriff kennen, vielleicht sogar noch seine Früchte und weitere Details. Doch wir sehen den Baum nicht mehr.
Wir können ihm nicht antworten, wir können der Welt nicht antworten. Weil unser Kopf voller “Wissen” über die Welt. Und wissen verstellt den Blick für das Jetzt, für die Begegnung mit dem Anderen (Mensch, Tier, Pflanze).
Unser Leben ist antwortlos, leer, automatisiert und so fühlen wir es, wenn wir mal schweigen. Doch dem entfliehen wir durch Lärm dieser Welt, der niemals enden darf. Wir fliehen vor der Ver-Antwortung vor uns selbst.
Quelle: Hermann Hesse, Gedichte, Band 10, S. 133-134.
Musikalisch lauschbar: https://www.youtube.com/watch?v=NmOacWiWSvQ&t=15s