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Worin unterscheiden sich Sokrates und Buddha?

Manchmal werde ich darauf angesprochen, warum ich bei den Sokratischen Formaten ein Bild von Buddha zeige. Ist das nicht verwirrend? Wäre nicht ein Bild von Sokrates besser? Warum ich dies nicht finde, und wo die Grenzen der Sokratischen Methode (Mäeutik) liegen, erkläre ich in diesem Impuls.

Das Ungleichgewicht in der Sokratischen Methode

Sokrates war ein kommunikativ und rhetorisch exzellenter Dialogpartner. Seine Fragetechnik (die sogenannte Sokratische Methode oder Mäeutik) war berüchtigt und ich kann mir gut vorstellen, dass viele Menschen Gespräche mit ihm gefürchtet haben, weil sie am Ende nicht als der „Dumme“ da stehen wollten. So gut seine Fragen waren, sie waren – aus meiner Sicht – zielgeleitet, d. h. Sokrates wollte damit etwas erreichen. Positiv formuliert, wollte er die Unwissenheit des Gesprächspartners fördern um darauf aufbauend seine Erkenntnis zu erhöhen. Negativ formuliert, hat er den anderen ganz schön dumm da stehen lassen, während er als klug da stand.

Die Sokratische Methode setzt also voraus, dass ein schlauer ist, als der andere. Das einer weiter blicken kann, als der andere. Eine typische Lehrer-Schüler-Beziehung. Auch wenn Sokrates (oder das, was uns von ihm von Platon übermittelt wurde) dies geschickt verpackt, so zieht es sich wie ein roter Faden durch seine Dialoge. Am Ende steht sein Dialogpartner als dumm da, seine Denkfehler werden offensichtlich. Während Sokrates als weise dasteht, weil er den anderen “enttarnt” hat.

Dieses Ungleichgewicht durch die Sokratische Methode führt aus meiner Sicht nicht zu wirklicher Selbsterkenntnis, sondern eher zu negativen Gefühlen gegenüber dem Dialogpartner. Weil die scheinbare Selbsterkenntnis, die verkauft worden war, in Wirklichkeit eine Lehrererkenntnis war, die der Dialogpartner durch viele Fragen erfahren durfte. Das Sokrates mit dem Schierlingsbecher endete, könnte auch damit zusammen hängen, dass er sich durch seine Sokratische Methode nicht viele Freunde gemacht hat.

Ein guter Ausgangspunkt

Für mein Sokratisches Format ist die Sokratische Methode dennoch ein guter Ausgangspunkt, weil Sokrates die Frage ins Zentrum seiner Gespräche stellt. Damit war er nicht beim Dozieren oder beim Lehren, sondern nutzte seine Fragen für die zielgerichtete Erkenntnisgewinnung beim Anderen. Und wir kennen es noch heute im Sprichwort:

Wer fragt, der führt!

Sprichwort

Der Unterschied in meinen Sokratischen Formaten

Fragen sind in meinen Sokratischen Formaten ebenfalls zentral. Mit dem Unterschied, dass es nur eine Frage gibt und es kein Ziel vorgegeben wird. Es gilt überhaupt nichts zu erkennen, nichts zu tun und nichts zu erreichen in diesem Format. Es ist keiner „wissender“ als andere, weil jeder ein Experte für sich selbst ist (und aus meiner Sicht nur für sich sein kann). Und beim Sich-Selbst-Kennen oder Sich-Selbst-Verstehen scheitern doch so viele von uns bereits. Wie irrsinnig ist dann die Annahme, den anderen zu kennen oder zu verstehen.

Sokrates vs. Buddha

Jetzt kommt Buddha ins Spiel. Der Zen-Buddhismus fordert dazu auf, nichts zu glauben, was dir nicht selbst einleuchtet. Dies kommt in dem Satz zum Ausdruck (weitere Perspektiven zum Satz gibt es hier):

Triffst du Buddha auf der Straße, dann töte ihn!

Buddha

Der Satz ist nicht wortwörtlich zu verstehen, nicht Menschen sollen getötet werden. Sondern jegliche Autorität (Lehrer, Beamte, Eltern, Geistliche, …) ist anzuzweifeln. Immer, wenn du jemanden blind glaubst, machst du ihn zum Buddha über dich. Dies sollst du vermeiden und diesen inneren Buddha eliminieren. Es ist die Aufforderung, sich von blindem Glauben zu lösen und seinen eigenen Verstand zu benutzen.

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

Immanuel Kant

Das ist der Kerngedanke der Sokratischen Formate: Sei dein eigener Meister. Erkenne dich selbst, wenn du möchtest — oder auch nicht. Es liegt dir frei. Keiner will etwas von dir, sondern du kannst sein, wie du möchtest. Ja, ich fordere geradezu auf, sein Sein zu zelebrieren und tiefer einzusteigen in das eigene Sein. Darin liegt ein Schätz. Weil du dann erkunden kannst, was dich bewegt und warum. In aller Stille und Ruhe.

Tun im Nichtstun

Im asiatischen Raum gibt es dafür auch den Ausdruck „Wúwéi (无为, Tun im Nichttun)“. Wuwei bedeutet das Handeln ohne Anspannung, ohne Anstrengung und ohne eine erfolgsorientierte Absicht. Es beschreibt ein Handeln, welches in seiner Handlung selbst versunken ist. Im Einklang mit der Natur und dem eigenen Rhythmus tust du etwas ganz und gar, im Hier und Jetzt, im Augenblick. Du tust es bewusst, mit minimalem Krafteinsatz. Gerade im Wuwei liegt der Raum und der Weg zu dir selbst.

Fühlen, spüren und denken sind nur die halbe Miete

In diesem Prozess der Selbsterkenntnis kommt ein wichtiger Aspekt zum Tragen. Das Nachspüren, das Nachfühlen, das Nachdenken warum einen etwas bewegt hat, was die Ursache der eigenen Reaktion war, ist erst die halbe Miete für Selbsterkenntnis. Wirklichen Nutzen stiftet es, wenn du diese Gedanken unfertig, unvollendet mit anderen Menschen teilst. Weil erst in dem wörtlichen Ausformulieren, dem Sich-Der-Welt-Zeigen, dem Gesehen-Werden, dem In-Die-Welt-Bringen dieser Impulse, festigt sich das Erkannte. Darin liegt auch der Mut, sich zu offenbaren, sich in seiner Menschlichkeit anzubieten, unabhängig von den Reaktionen anderer Menschen.

In diesem Sinne, lass uns begegnen in den Sokratischen Formaten!

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