Mut zur Stille
»Stille ist nicht die Abwesenheit von Geräuschen.
Stille ist die Anwesenheit meiner Selbst.«Unbekannt
Zielgruppe des Artikels
Menschen, die sich fragen, warum jemand Stille lieben kann — weil sie selbst Stille meiden wie der Teufel das Weihwasser!
Inhaltsverzeichnis
Stille, was meine ich damit?
Dabei ist Stille nur eines: Stille. Sie ist Ruhe, Gelassenheit, reines, pures Sein. Sie braucht nichts zu tun, nichts zu leisten, nichts zu erfüllen. Sie ist. Still, ruhig, gelassen, präsent.
Die Stille, die ich meine, hat nichts mit der Abwesenheit von Lärm in der Welt zu tun. Es ist eine innere Stille, eine innere Ruhe, ein Gewahrsein was ist und sein darf. Es ist das Bewusstsein für die eigene Präsenz, für das existenzielle Sein im unendlichen Strom in allem Sein.
Diese Präsenz ist unabhängig von äußeren Einflüssen. Sie pendelt innerlich, ist nicht starr und findet bei äußerem Lärm ihren Ruhepunkt. Äußere Stürme sind innere Prüfsteine für die eigene Präsenz, für das eigene Sein.
»Stille ist die äußerliche Ruhe und nicht die Abwesenheit von Lärm,
sondern die Anwesenheit von Nichts.
Dem Raum, der sich öffnet,
wenn es im inneren Still wird.«Bernd Kolb
Stille als wichtige Phase der Natur
Auch wenn es in unserer Kultur anders definiert wird: Der Mensch ist ein Teil der Natur. Er ist ihr nicht übergeordnet und herrscht nicht über sie. Er unterliegt den natürlichen Rhythmen — so wie alles in der Natur.
Die Natur nimmt sich jedes Jahr eine Zeit des Rückzugs, der Stille, der Ruhe — sie legt eine kleine Pause ein. Die Sonnenwärme zieht sich zurück, Tiere machen Winterschlaf, Pflanzen reduzieren ihren Stoffwechsel — erst in der Ruhe entsteht das Neue.
Die Natur nutzt die Stille, damit ihr Rhythmus sich wiederholt. Ja, erst die Stille ermöglicht den Rhythmus. Wie in der Musik, wo erst die Stille zwischen den Tönen die Musik erklingen lässt.
Stille in unserer Kultur
Was macht der Mensch? Gegen Jahresende feiert das größte Konsumfest auf der Erde: Weihnachten. Kaufen, kaufen, kaufen! Überall springen sie dir ins Auge: Weihnachtsdekoration, Weihnachtskekse, Weihnachtsgeschenke und noch vieles mehr. „Black Friday“ und „Cyber Monday“ stimmen dich darauf ein. Längere Ladenöffnungszeiten sollen dir das Geld ausgeben noch leichter machen. Der tägliche Konsumlärm steigert sich ins Unerträgliche …
Wir streben nach Aktivitäten, Beschäftigung, Ablenkung. Immer was zu tun, allzeit im Hamsterrad funktionieren, niemals still-stehen. Wachstum, Weiterentwicklung, ständiges lernen, „Employability“ — alles Ausreden, um der Stille zu entkommen. Doch es gibt kein Entkommen von der Stille. Stille ist natürlich, sie ist Teil unserer Natur. Wir können vor ihr nicht fliehen, weil wir vor uns selbst nicht davonlaufen können.
Stille in meinem beruflichen Kontext
Wenn ich in Moderationen, Trainings und Coachings zur Stille einlade, verunsichert das die Menschen. Sie verspüren den inneren Druck, diese Stille schnell zu beenden — wollen etwas sagen. In einer Gruppe Stille auszuhalten ist für viele noch schwerer, wie sie alleine zu ertragen.
In meinen Qigong-Kursen ist Stille, das stille Nachspüren, das stille Ankommen ein wichtiger Bestandteil. Für Menschen, die gelernt haben zu leisten, aktiv zu sein, eine zu Beginn große Herausforderung.
Stille und was passiert, wenn sie schwindet
Kollektiv verdrängen wir die Stille. Der Takt in unserem Rhythmus wird gesteigert, immer mehr in immer kürzerer Zeit. Gegenwartsschrumpfung nennt es Hermann Lübbes:
»Die Vergangenheit ist die Zeit,
die nicht mehr gilt,
die Zukunft ist die Zeit, die noch nicht gilt –
und die Gegenwart ist die Zeit,
in der die Dinge bleibende Geltung haben.«Hermann Lübbes
Gegenwartsschrumpfung ist die Zeit, in der die Dinge gleichbleibende Geltung haben. Heute herrscht der Sekundentakt: Auf irgendeinen (sogenannten) “sozialen” Kanal wartet eine neue Nachricht auf dich, will von dir gelesen zu werden (du kennst sicherlich „fear off missing out — fomo“). Und du bist 24/7 erreichbar, selbst in der Nacht liegt dein Handy in rettender Entfernung neben dem Bett.
Nicht nur über die „sozialen“ Medien, auch die alten Medien wie Fernsehen, Radio, Print, Straßenwerbung prasseln kontinuierlich und schonungslos auf dich ein. In der Stadt gibt nur noch selten einen Anblick, an dem sich nicht Werbung ins Blickfeld aufdrängt. Die Orte, die uns nicht anschreien, schwinden.
Stille ermöglicht Seelennahrung
Bei all der äußeren Ablenkung bleibt Stille auf der Strecke. Doch sie ist Voraussetzung für die innere Nahrung: Seelennahrung, ein Gefühl für sich selbst. Die Begegnungen mit dem eigenen ich — haben in unserer Zeit keinen Platz. Dabei sind es diese Begegnungen, die uns heilen können, die uns nähren können, die Farbe in unseren Alltag bringen.
Das neue iPhone befriedigt, es nährt nicht. Das Online-Spiel lenkt ab und macht am Ende noch leerer. Alles im Außen befriedigt kurzfristig, verdeckt für ein paar Momente in innere Leere. Bis diese innere Leere sich wieder in den Vordergrund drängelt.
Stille als innere Qualität
Stille ist eine innere Qualität. Ein Mensch kann im größten Lärm innerlich still sein und er kann alleine im Wald vor lauter innerer Gedanken nicht klar denken. Ein Meditierender weiß um die „Affen“ im Kopf, die dann laut werden, wenn die Meditation beginnt. Stille ist eine innere Qualität, unabhängig vom Außen.
Auf dem Weg zu dieser Qualität kann es anfangs helfen, sich stille Orte zu suchen. Wie helfende Stützräder am Fahrrad, das Radfahren lernen erleichtern können. Aber erst ohne Stützräder zeigt sich wahre Stille.
Eine kleine Geschichte zur Stille und den Weg dorthin …
Stille und die Illusion im Außen
Eine Folge der Vermeidung von Stille ist die Steigerung der gefühlten Unzufriedenheit. Dies passiert unbemerkt, unbewusst, nebenbei, schleichend — und dennoch mit spürbaren Auswirkungen: Du spürst, etwas stimmt nicht. Du spürst, etwas läuft nicht rund. All deine Lösungsversuche bringen nur kurzfristige Erleichterung. Du drehst dich im Kreis, weil du versuchst, deine Unzufriedenheit im Außen zu lösen.
Deine Unzufriedenheit kannst du nicht im Außen lösen. Dazu musst du den Blick nach innen wenden. Das kannst du wortwörtlich verstehen. Schaue dich im Spiegel an.
Mut für den Spiegel
Sogar diesen Blick in den Spiegel haben wir funktionalisiert. Er dient der Funktion, dein Scheinen zu korrigieren. Dabei ist er ein echter Spiegel deines Seins. Wie lange schaffst du es, dich im Spiegel — ohne Ziel und Absicht — anzuschauen? 2 Sekunden, 10 Sekunden, 30 Sekunden, 1 Minute, 5 Minuten?
Der wirkliche Blick in den Spiegel kostet Kraft. Mentale Kraft, aushalten, was mich da anschaut. Selbst nicht wegschauen, sich nicht ablenken. Anschauen, verharren. Ohne Worte, ohne wollen, ohne Ziel. Anschauen. Wer schaut mich da an? Kenne ich ihn/sie? In Stille sich selbst anschauen und beobachten, was in dir passiert.
Ich wünsche dir Mut und Lust, dir selbst zu begegnen. Mut zur Stille mit dir selbst. Mut, für den Seins-Blick in den Spiegel.
Weiterführendes zum Thema
Der Weg der Stille braucht keine Filme zum Thema, keine Bücher, keine Seminare, keine Trainings — er braucht Stille. Jedoch kann es hilfreich sein, wenn du auf deinem Weg dir Begleiter suchst, die dich führen und manchmal tragen. Deshalb hier ein paar Empfehlungen: